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Sylvie Fleury

kuratiert von Niels Olsen & Fredi Fischli

Double Positive

08.10. — 02.04.2023

Sylvie Fleurys ortsspezifische Ausstellung Double Positive ist eine Reaktion auf das neu eröffnete Gebäude der Bechtler Stiftung, in dem die Skulptur The 2000 Sculpture von Walter de Maria dauerhaft zu sehen ist. Es ist ein Ort der Kontemplation, der sich nun mit einer provokativen und irritierenden Begegnung konfrontiert sieht: Fleurys Installation von unzähligen Kleiderständern, die ihre gesamte Garderobe der letzten drei Jahrzehnte zeigen.
Die Besuchenden sind mit einer Ausstellungsituation konfrontiert, die eher wie ein Lager oder ein Modegeschäft als an ein Museumsraum anmutet. Sie wirft die Frage auf, ob die jüngste Wohn- und Kulturentwicklung des gesamten Areals, das mehrere Kunstwerke im Freien umfasst, zu seiner früheren industriellen Nutzung zurückgefunden hat. Bei näherer Betrachtung zeigt sich das Gegenteil: die gewöhnlichen Kleiderständer glänzen golden und die ausgestellten Kleidungsstücke sind extravagant. High-Fashion-Stücke geben Einblick in die Avantgarde der 1990er Jahre, in die Zeit von Thierry Mugler, Vivienne Westwood und Jean Paul Gaultier. Die angesammelten Relikte des Konsums stellen sich als historische Objekte von musealem Wert heraus. Das gleichnamige Künstlerbuch ist Teil der Ausstellung. Annotiert vom Modehistoriker Matthew Linde führt es zurück zu Fleurys Anfängen als Künstlerin und erinnert an ihre erste Arbeit aus dem Jahr 1991: eine Ready-made Skulptur bestehend aus Einkaufstüten, ungeöffnet und gefüllt mit neu erworbenen Luxusprodukten. Archivporträts der Künstlerin bei der Arbeit sind ebenso ungewöhnlich wie ihre "Skulptur"; in ihrer Rolle als Konsumentin fordert sie die Vorstellung von der Künstlerin als Arbeiterin oder Produzentin heraus.
In ihrer Installation Double Positive stellt Fleury auf für sie typische Weise den vorherrschenden männlichen Kunstbetrieb in Frage. Im Licht der Minimal Art betrachtet, werden die Spuren einer persönlichen Biografie zu einem verletzlichen Akt der Selbstentblössung. Für einmal zitiert Fleury nicht Mondrian, Fontana oder Gober, sondern spielt mit ihrem Titel auf Michael Heizers Double Negative von 1969 an: eine Land Art Installation, die aus zwei riesigen Gräben in der Wüste von Nevada besteht. Bei Heizers Arbeit geht es um die Verdrängung von Material – 240‘000 Tonnen Wüstensandstein - und dem daraus resultierenden negativen Raum. Walter de Marias gross angelegte Installation ist ähnlich überwältigend in seinem Volumen und bedeckt 500 Quadratmeter Museumsfläche mit standardisierten Gipselementen. Fleurys Double Positive mit seinen vielen Kleiderständern und noch mehr schwarzen, generischen Kleidersäcken ist ein ästhetisches Spiegelbild der benachbarten The 2000 Sculpture.
Vor der Ausstellung nahm Fleury zunächst die Halle von de Marias Skulptur in Anspruch und benutzte ihn als Kulisse für ein Fotoshooting. Das Museumsfenster wurde zu einem Schaufenster, einer Bühne für Models, welche Kleider präsentierten, die von der Stylistin Ursina Gysi aus der Sammlung der Künstlerin ausgewählt worden waren. Im Kontext der Kunst in industriellen Räumen und des Minimalismus von Heizer oder de Maria konfrontiert uns Fleury mit einer weiteren Neuinterpretation eines bestehenden Raums. Ihre subversive Sichtweise wertet ehemalige Industrieräume nicht als Museum auf, sondern schlägt eine umgekehrte Richtung vor. In Double Positive inszeniert Sylvie Fleury das Museum als Greenscreen für Mode-Laufstege, digitale Lookbooks, Shopping Malls oder auch als posthumane Lagerräume für den E-Commerce.
Anlässlich der Ausstellung erscheint das Künstlerbuch Sylvie Fleury. Double Positive bei JRP Editions. Mit Texten von Fredi Fischli, Niels Olsen, Anaïs von Holleben-Peiser, Matthew Linde und einem Fotoshooting von Ursina Gysi und Marc Asekhame. Grafik von Teo Schifferli.

Text von Niels Olsen und Fredi Fischli

Bilder

  • Sylvie Fleury, Double Positive
    Ausstellungsansicht Bechtler Stiftung, 2022
    Courtesy the artist
    Fotos: Jonathan Dirlewanger

Interview Fredi Fischli & Niels Olsen

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